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>> EUPHORIA!


Menü mit viel Abwechslung

Das Gastspiel "Euphoria!" vom Theaterhaus Weimar war raffinierter Hauptgang. Texte aus Herders Reisetagebuch stellen sich quer zur filmischen Dokumentation einer heutigen Reise: Menschen in trostlosen Warteräumen unterwegs. Die zweigeteilte Projektionsfläche für den Film ohne Ton öffnet sich, um den Blick auf sprechende und musizierende Darsteller frei zu geben, oder schiebt sich übereinander, um alles undeutlich zu machen. Gelungene Mischung aus Liv e-Performance und Mediennutzung.
Hamburger Morgenpost , DAGMAR FISCHER, 29.3.04,

 

Euphorische Fährfahrt

Das Leben ist ein mitreisender Lette: Gäste aus Riga verwandeln in der Schwankhalle
Johann Gottfried Herders "Journal meiner Reise im Jahr 1769" in einen Trip zu dritt

"Weißt du, was komisch ist ? Du fährst nach Riga, ich komme aus Riga, und sie da, die da sitzt, weiß überhaupt nicht, wohin sie fährt. Das Komische ist: Wir sind alle auf dem gleichen Schiff. Zigarette?"

Drei Menschen begegnen sich auf einer Überseefähre, die nach Riga fährt - und aus Riga kommt. Wo sie außerdem hält, weiß niemand. An Bord sind Truckfahrer und Autohändler, im Schiffsbauch Gebrauchtwagen. Eine Frau, die einzige auf dem Schiff, und zwei Männer, ein Lette, ein Deutscher, sitzen da und schauen sich an. Man redet nicht viel, und wenn, dann vollkommen aneinander vorbei. Gelungene Kommunikation ist, wenn man sich unterhaltsam genug missversteht. Das lässt sich nicht ändern, man muss es nur zu schätzen wissen. Enjoy your trip empfiehlt ein roter Schriftzug an der Kabinenwand.
Hauptsache weg!
Indes schwindet nie das Gefühl, dass alle Anwesenden kreuzunglücklich sind. Euphoria!, so der Name des Stückes, ist weit mehr als eine groteske Übertreibung. Kein Wunder: Angelehnt ist die Produktion an Johann Gottfried Herders "Journal meiner Reise im Jahr 1769". Der 24-jährige Herder, später Cheftheoretiker des Sturm und Drang, brach fluchtartig von Riga Richtung Irgendwo auf. Egal wohin, Hauptsache weg. Auf seiner 40-tägigen Schiffsreise verfasste er dann sein Journal, eine Sammlung skurriler Reformideen für die Wissenschaften Europas, Aufklärungs-Bonmots und adoleszente Selbstzweifel.

Euphoria! fängt die Wehmut dieses Journals hervorragend ein. Wie Herder daran verzweifelt, der Welt nicht mit aristotelischem Gleichmaß begegnen zu können, den Dingen immer voraus oder hinterher zu sein, statt mitten in ihnen, genau so sind die drei Menschen auf der Fähre auch zwischen den Welten gefangen. In der Banalität der Gesprächsthemen kehrt eines immer wieder: der Wunsch, den anderen in Schach zu halten.
Ein wenig flotter Dreier
Conditio humana in full effect: Niemand ist jemals glücklich mit dem Ist-Zustand. So auch der wenig flotte Dreier der Reisenden, von Käpt'n Zufall zusammengebracht. Ein ewig währendes Provisorium türmt sich durch stetes Missverständnis bei der Annäherung zwischen den Figuren.
Im Vordergrund rotieren zwei Leinwände gleichmütig von links nach rechts, immer im Kreis umeinander herum. Auf ihnen läuft der Film, der die Geschichte der drei Menschen in Bildern erzählt. In regelmäßigen Abständen überlagern sich die Leinwände oder geben den Blick auf die Sprechenden dahinter frei, die realen Schauspieler. Der Beamer blendet dann grün oder weiß. Wenn die Leinwände sich wieder schließen, agieren die drei als Schattengestalten parallel zur Handlung im Film. Passend zum Roadmovie auf See: Akkordeon.
Blendende Beamer
Blendendes Beamerlicht und Augenaua: "Das ist das mediale Symbol der Aufklärung." Der künstlerische Leiter Janek Müller freut sich über den gelungenen Effekt.
Euphoria! hole den Zweifler und Schwerenöter Herder auch von seinem Denkmalpodest. Das Ensemble, drei Letten, drei Deutsche, weiß aber auch, warum es in Bremen ist. Nicht ganz glücklich sei er damit, aber "wir sollen ein bisschen die Werbetrommel rühren", sagt Müller. Der Deal: Riga unterstützt die Kulturhauptstadtsbewerbung der Partnerstadt Bremen. Die wiederum engagiert sich wirtschaftlich und kulturell in der Hauptstadt Lettlands (siehe Kasten). Nur noch heute und morgen um 20.30 Uhr in der Schwankhalle.
die tageszeitung, Robert Best , 2.4.04